Für deutsche Minderheitsaktionäre werden in diesen Tagen wichtige politische Entscheidungen gefällt, auf die sie nur geringen Einfluss haben. Gleichzeitig sind die Konsequenzen der nach dem Frosta-Urteil von 2013 geplanten Gesetzesnovelle zum Delisting börsennotierter Unternehmen so groß, dass Anlegerschützer sich um die deutsche Aktienkultur sorgen.
Spruchverfahren-Direkt hat mit drei Experten über die Folgen des jetzt geplanten Entwurfs von SPD, CDU und CSU gesprochen.
Spruchverfahren-Direkt: Herr Schlote, Sie haben im Dezember 2014 eine Studie veröffentlicht, um die Folgen des so genannten Frosta-Urteils zu beleuchten. Sie haben darin die Entwicklung der Aktienkurse nach einer Delisting-Ankündigung empirisch untersucht. Erläutern Sie unseren Lesern bitte noch einmal die Ergebnisse.
Schlote: Anlass der Studie war das Frosta-Urteil…
Spruchverfahren-Direkt: …das die bis dato übliche Rechtsprechung, dass ein Delisting-Beschluss von der Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit gebilligt werden musste und ein öffentliches Kaufangebot des Hauptaktionärs erforderlich war, abgeschafft hat.
Schlote: Ja, nach dieser Entscheidung haben wir uns die Kursausschläge nach verschiedenen Delisting-Ankündigungen für verschiedene Zeiträume angeguckt. Im Ergebnis ergaben sich Kursrückschläge um bis zu 80 Prozent, so dass Kleinaktionäre erhebliche Vermögensverluste hinnehmen mussten. Es gab auch Unternehmen, bei denen die Kursreaktionen verhaltener waren, insbesondere Substanzunternehmen. Im Großen und Ganzen hat die Studie jedoch gezeigt, dass Regelungsbedarf besteht.
Peres: Nach dem Frosta-Urteil des BGH bestand wirklich Handlungsbedarf, weil ja gesagt worden ist, dass Delisting-Ankündigungen überhaupt keinen Einfluss auf die Aktienkursentwicklung haben.
Schlote: Diese Einschätzung geht ja zurück auf die Untersuchung des Deutschen Aktieninstituts von 2010. Da herrscht inzwischen einhellige Meinung, dass diese Studie unter falschen Voraussetzungen erstellt worden ist – nämlich bezogen auf die Zeit, in der es die Abfindung noch gab.
Drygala: Inzwischen ist das allen klar. Nur in dem Verfahren ist das blöderweise niemandem aufgefallen. Der BGH ist darauf eingestiegen. Und es ist nun mal passiert. Die Beteiligten haben genug Schimpfe dafür einstecken müssen.
Spruchverfahren-Direkt: Der jetzt diskutierte Gesetzentwurf ist zwar weit davon entfernt, sich der Rechtsprechung vor dem Frosta-Urteil wieder anzunähern. Doch zumindest ein paar Änderungen im Vergleich zum ersten Entwurf werden jetzt wohl festgeschrieben. So soll sich zum Beispiel der zu zahlende Börsenkurs nicht mehr am Drei- sondern am Sechs-Monats-Durchschnittskurs orientieren. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?
Schlote: Mit der Verlängerung dieses Durchschnittszeitraums als Preisuntergrenze sollen Kursmanipulationen eingefangen werden. Es gibt aber auch viele weitere Punkte, die nicht angegangen worden sind. So muss zum Beispiel gar kein Angebot erfolgen, wenn sechs Monate vor Antragsstellung ein Übernahme- oder Pflichtangebot abgewickelt wurde. Es gibt noch eine Reihe von weiteren Konstellationen, in denen kein Angebot gemacht werden muss.
Das wiederum hat auch indirekte Folgen. Denn so wird der übernahmerechtliche Squeeze-out an Bedeutung gewinnen, weil ein Übernahmeangebot mit der Drohung verbunden werden kann, anschließend ein Delisting durchzuführen, für das dann kein Angebot mehr gemacht werden muss. Das wird dazu führen, dass die Annahmequote bei Übernahmeangeboten steigt. Die Voraussetzungen für einen übernahmerechtlichen Squeeze-Out werden somit häufiger erfüllt sein als früher. Und das Besondere an einem übernahmerechtlichen Squeeze-out ist, dass hier kein Spruchverfahren durchgeführt werden muss. Das ist für uns die eigentliche Absicht dieses Gesetzentwurfs – wenn man es mal ein bisschen bösartig denkt.
Spruchverfahren-Direkt: Sie gehen also davon aus, dass die Politik Großinvestoren bewusst schützt oder fördert – auch auf Kosten von Kleinaktionären?
Schlote: Ja, genau.
Drygala: Ja, das sehe ich auch so. Das Spruchverfahren ist zunehmend unbeliebt in Unternehmen, aufgrund der nicht zu bestreitenden Nachteile. Sie wollen sich von diesem Instrument abwenden. Aus dem jetzigen Entwurf ergibt sich auch eine langfristige Gefahr: Wenn es hier kommt und eingeführt, ohne Spruchverfahren und ohne dass die Welt danach untergegangen ist, dann wird vielleicht gesagt: wir schaffen das in anderen Fällen auch ab.
Peres: Ich kann das aus meinen Gesprächen mit Rechtsausschussmitgliedern bestätigen. Sie haben mir gesagt, das Spruchverfahren, wie wir es kennen, steht auf dem Prüfstand. Lobbyisten üben da großen Druck auf die Politik aus. Wenn man jetzt in das Delisting-Verfahren das Spruchverfahren noch einbeziehen würde, wäre das klar konträr zur eigentlich gehegten Absicht.
Die SPD hat zwar zumindest nach außen hin gesagt, sie will da aktiv werden. Aber davon sehe ich nichts. Es gab jetzt eine kleine Nachbesserung. Es wird Barzahlungen geben und die Ausweitung der Durchschnittskursberechnung auf sechs Monate. Es gibt aber weiterhin kein Ertragswertverfahren, keine wahre Wertermittlung und damit auch kein Spruchverfahren. Im Finanzausschuss wurde dieses Thema nur gestreift.
Spruchverfahren-Direkt: Das heißt, die Umsetzung der zwei Kernforderungen von Aktionärsschützern, dass erstens eine HV-Mehrheit dem Delisting zustimmen muss und zweitens auch der Ertragswert berücksichtigt wird, notfalls im Spruchverfahren, halten Sie für illusorisch?
Peres: Das möchte ich nicht sagen, dass es illusorisch ist. Es ist nur so, dass es in der jetzigen Variante nicht im Entwurf enthalten ist. Ob es letztendlich drin stehen wird, daran hege ich jedoch Zweifel.
Schlote: Dem kann ich mich nur anschließen.
Spruchverfahren-Direkt: Nehmen wir mal einen Perspektivenwechsel vor: Was sind aus Sicht der Großinvestoren die Probleme, die sie noch in der Macroton-Zeit unter den alten Regeln hatten, bis dann das Frosta-Urteil kam?
Drygala: Aus Sicht der Unternehmen ist jede Hauptversammlung, die nicht stattfindet, ein Gewinn. Sie verursacht Kosten für das Unternehmen und Stress für den Vorstand. Sie werden den ganzen Tag von kritischen Aktionären bepöbelt und dann kommt am Ende auch noch eine Anfechtungsklage. Anfechtungsklagen gegen Beschlüsse haben wir in der Vergangenheit nicht wegen Fehlbewertungen gesehen, sondern aus allen möglichen anderen Gründen. Der klassische Fall war ein Handtuchtrockner auf der Toilette, der angeblich so laut war, dass Aktionäre die Tonübertragung nicht mehr hören konnten.
Und selbst wenn die HV glatt läuft und es wird nicht angefochten, haben wir das jahrelange Spruchverfahren und die Gefahr einer Nachzahlung. Das laufende Spruchverfahren wird auch als Klotz am Bein angesehen wenn weitere Aktionen geplant sind, zum Beispiel der Verkauf des Unternehmens, nachdem es delistet worden ist. Dann haben sie in Verhandlungen mit dem potentiellen Käufer immer noch dieses Spruchverfahren an der Backe. Hinzu kommt, dass die Verzinsung, die auf die Nachzahlung zu leisten ist, in Spruchverfahren zwischenzeitlich angehoben wurde.
Schlote: Die höhere Verzinsung hat aber auch dazu geführt, dass sich die Verfahren beschleunigt haben. Das zeigt, es geht auch schneller. Warum nimmt man sich für ein Gutachten monatelang Zeit, wenn 90 Prozent davon copy and paste ist und ich den Rest in einer Woche hinkriegen kann. Da wird bewusst auf der Zeitachse gespielt, um die Gegenseite zu zermürben. Zum anderen geht es auch um das Eigeninteresse der Gutachter. Denn wer viel Papier produziert, kann auch hohe Rechnungen schreiben. Der Sache dient es jedenfalls nicht.
Und was die Unwägbarkeiten bei Unternehmen betrifft, denken Sie mal an die Deutsche Bank und die vielen Rechtsverfahren, in die sie verwickelt ist. Ich kann mir kaum ein Unternehmen vorstellen, das nicht in irgendwelche Rechtsverfahren verwickelt ist, wenn es übernommen wird. Ein Spruchverfahren ist da kein K.O.-Kriterium.
Spruchverfahren-Direkt: Es wurde zuletzt auch thematisiert, dass die neue Regelung vor allem ausländischen Akquisiteuren entgegen kommt. Wie beurteilen Sie das?
Schlote: Ja, gerade ausländische Unternehmen haben neue Möglichkeiten bekommen, in deutsche Unternehmen einzusteigen. Das sieht man gerade und konkret auch an Kali und Salz. Wenn ich Potash wäre,…
Spruchverfahren-Direkt: …die einen Übernahmevorschlag an K+S abgegeben haben…
Schlote: …würde ich auch abwarten wie die Politik jetzt entscheidet und welche Regelungen künftig gelten. Im Zweifel kommen sie so günstiger an das deutsche Unternehmen heran als in der jetzigen Situation.
Peres: Man kann auch einiges ableiten, wenn man einen Blick auf Sachverständigen im Finanzausschuss wirft. Das waren zum Teil hochangesehene Rechtsexperten, die zahlreiche M&A Mandanten aus Übersee haben. Die Positionen, die von diesen Rechtsexperten vertreten wurden, waren aus Anlegersicht noch ungünstiger als das, was jetzt auf dem Papier steht.
Spruchverfahren-Direkt: Welche Folgen wird die Regelung, so wie sie jetzt geplant ist, für die deutsche Aktienkultur haben?
Peres: Das hat einen Rieseneinfluss. Ich verstehe nicht genau, warum das Bundesverfassungsgericht den Aktienbesitz entwertet hat. Aktieneigentum und Aktienwert zu trennen, geht an der Realität vorbei. Ich frage mich, ob wir das in Deutschland so zulassen wollen.
Schlote: Der Aufwand des bisherigen Prinzips ist letztlich doch überschaubar. Es wird nur so getan durch diese viele Hundert Seiten langen Gutachten, als würde es sich um einen großen Aufwand handeln. Doch das ist Ablenkung. Den Kern kann man schnell in den Griff bekommen. Und ich weiß nicht, warum wir uns davon verabschieden sollten. Es gibt Fälle wo nachgebessert worden ist, es gibt jene, wo nicht nachgebessert worden ist. Über Einzelfälle kann man sicher streiten. Das Spruchverfahren ist aber ein Rechtsgut, das sich bewährt hat in den vergangenen Jahren.
Drygala: Ja, das sehe ich im Grundsatz auch so.
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